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Dieser Beitrag wurde in den folgenden Foren veröffentlicht:

  Musiker-Board 14.12.2006
  Musicians World 14.12.2006
  Gearbuilder.de 14.12.2006
  Guitarworld.de 14.02.2007


Das "Matschen" - Ursache und Wirkung

In einer PM stellte das Mitglied JPage im Juli 2006 folgende Frage:

Zitat JPage:
... Woher kommt das Matschen überhaupt?

Da es zu dieser Zeit auch im Musiker-Board an dieser Stelle diskutiert wurde, entstand der folgende Artikel:

Vorbemerkung

Das sogenannte "Matschen" wird in der Regel im Zusammenhang mit einem verzerrten Klang beschrieben. Es ist also eine Folge der durch den Verzerrer (egal ob Röhre oder Halbleiter) verursachten nichtlinearen Verzerrungen.

1. Das Spektrum der Saitenschwingung

Die Saitenschwingung ist im Normalfall ein Frequenzgemisch, welches aus dem Grundton f0 und diversen Obertönen (Harmonische) f1, f2,... besteht, die alle ganzzahlige Vielfache des Grundtones sind (fn=n*f0, n=1, 2, 3, ...). Aufgrund dieser Gesetztmäßigkeit empfinden wird das resultierende Schallereignis als harmonisch und wohlklingend und sprechen dann gerne von einem "Klang". Steuern wir ein System (Verstärker,...) so aus, spricht man auch von einer harmonischen Aussteuerung.

2. Der Verzerrer und seine Folgen

Durch eine nichtlineare Verzerrung werden grundsätzlich neue Frequenzen dem Frequenzgemisch der Saitenschwingung hinzugefügt. Welche das sind, hängt vom Frequenzgemisch und der nichtlinearen Kennlinie ab:

2.1 Ein Ton ist Theorie

Die Eintonaussteuerung ist nur eine theoretische Betrachtung, denn in der Praxis liegt immer eine Mehrtonaussteuerung vor. Dazu ein Beispiel:

2.2 Der Klang ist die Praxis

Am Eingang haben wir fe0, fe1 und fe2 als Frequenzen. Dann ergeben sich am Ausgang:

  1. Vielfache der Eingangsfrequenzen: n*fe0, n*fe1 und n*fe2
     
  2. Summenfrequenzen: fe0+fe1, fe0+fe2, fe1+fe2
     
  3. Differenzfrequenzen: fe0-fe1, fe0-fe2, aber auch: fe1-fe0, fe1-fe2, und fe2-fe0, fe2-fe1

Aus den ursprünglich drei Frequenzen sind jetzt also glücklich 12 geworden (wenn ich keine vergessen habe). Wenn man das ganze etwas sortiert und eine harmonische Aussteuerung voraussetzt, ergeben sich insgesamt 5 Frequenzen am Ausgang: fe0, 2*fe0, 3*fe0, 4*fe0, 5*fe0. Das Ergebnis ist also wieder harmonisch.

2.3 Vom Klang zum Geräusch

Anders sieht es jedoch aus, wenn zwei Saiten erklingen. Dann lautet die Ansteuerung: fe0, fe1, fe2 und fa0, fa1, fa2 (für E-und A-Saite zum Beispiel). Da die beiden Grundtöne fe0 und fa0 nicht ganzzahlige Vielfache sind, sind auch die resutierenden Summen und Differenzen sozusagen "klangfremd". Sortiert man jetzt alle entstehenden Frequenzen, so sind vier Typen zu finden:

  1. Vielfache von fe0
     
  2. Vielfache von fa0
     
  3. Summen und Vielfache (n*fe0+m*fa0)
     
  4. Differenzen und Vielfache (n*fe0-m*fa0 und n*fa0-m*fe0)

Die beiden letzten Typen sorgen dafür, daß unser "Klang" zu einem sogenannten "Geräusch" mutiert, welches wir als unsauber empfinden. Sie gehören klanglich weder zu fe0 noch zu fa0 und das ist genau das Problem!

Die Summenfrequenzen sind in aller Regel hochfrequenter Art. Damit zeigt sich, daß nach einem Verzerrer durchhaus ein höhenlastiges Signal existieren kann.

Die Differenzfrequenzen erzeugen auch tiefe Frequenzen, die im Bereich der Grundtöne liegen können.

Wenn man sich vorstellt, daß eine Saitenschwingung durchaus bis zu 10 oder gar 20 wirksame Harmonische haben kann, so kann man sich vorstellen, wie viele neue und klangfremde spektrale Anteile erzeugt werden. Nun denken wir noch an einen Powerchord (3 "Töne" und deren Harmonische) und machen ein bedenkliches Gesicht.

Zu guter letzt fällt uns ein, daß ja nicht nur eine Stufe die Verzerrung macht, sondern vieleicht zwei oder gar drei. Die zweite Stufe erhält dann das Ausgangssignal der ersten Stufen mit allen Frequenzen als Aussteuerung und macht wieder Vielfache, Summen und Differenzen. Und die dritte Stufe... Vieleicht findet sich ja jemand, der alle spektralen Anteile nach einer dritten Verzerrerstufe mal aufschreibt. Ich komme dann in einem Jahr zur Kontrolle vorbei.

2.4 Die Amplituden des Spektrums

Wir haben uns bisher nur damit beschäftigt, welche Frequenzen als Folge einer Aussteuerung einer nichtlinearen Kennlinie entstehen können. Wie groß die Amplitude (also die "Lautstärke") der einzelnen Bestandteile ist, hängt nun entscheidend von den Kennlinien ab. Eine Beurteilung kann nur dann erfolgen, wenn das ganze theoretisch berechnet wurde (viel Spaß) oder wenn man das Signal mit einem Spektrumanalysator (teuer) mißt.

Die Größe der Amplituden ist für den entstehenden Klangeindruck zuständig. Eine bestimmte Differenzfrequenz mag im Signal noch so scheußlich klingen, wenn sie nur eine sehr geringe Amplitude aufweist, stellt sie kein (so großes) Problem dar. Wird sie jedoch besonders stark betont, so ist das Kind in den Brunnen gefallen!

3. Dat matscht so schön...

Summen- und Differenzfrequenzen sind die Ursache dafür, daß unser harmonischer Klangeindruck gestört wird. Je nachdem, wie stark die Amplituden dieser Anteile sind, wird unser "Eingangsklang" nachhaltig verdeckt. Er geht quasi im Geräusch unter; dem Klangeindruck geht die "Transparenz" verloren.

Der Effekt des "Matschens" dürfte im Wesentlichen den Differenzfrequenzen im tiefen Frequenzbereich zuzuschreiben sein. Mangelnde Transparenz oder Klarheit ist auch eine Folge der Summenfrequenzen.

Nachdem was ich bisher ausgeführt habe, ist "Matschen" und fehlende "Transparenz" ein Effekt, der nicht primär dem Tonabnehmer angelastet werden darf, sondern der durch eine nichtlineare Verzerrung entsteht.

Merke: Wer nicht verzerrt, matscht auch nicht!

4. Antimatsch

"Matschen" und fehlende "Transparenz" sind also das Ergebnis einer nichtlinearen Verzerrung durch ein Eingangssignal, welches eine bestimmte klangliche Ausgewogenheit vermissen läßt (was auch immer das im Einzelfall bedeutet). Es kommt folglich darauf an, das Ausgangssignal der Gitarre vor der Verzerrung in geeigneter Weise klanglich umzuformen, bevor der Verzerrer zum Einsatz kommt.

Generell sind zu starke Bässe kontraproduktiv. Sie sorgen für sehr starke Amplituden bei den tiefen Differenzfrequenzen. -> Matschen.

Beim Halstonabnehmer ist dieser Effekt besonders gut zu beobachte, da er aufgrund seiner Position besonders starke Bässe liefert. Eine leichte Absenkung der Frequenzen bis 200Hz kann da so manches Wunder vollbringen.

Viele Gitarristen verwenden einen Treble-Booster. Der Effekt ist ähnlich. Die hohen Frequenzen werden verstärkt, die tiefen nicht.

In beiden Fällen verschiebt sich das Verhältnis von hohen und tiefen Frequenzen zu Lasten der Bässe. Folge: Es matsch weniger und klingt insgesamt klarer und transparenter.

Allerdings ist das Signal aus dem Treble-Booster grundsätzlich größer, sodas eine Röhre auch noch leichter übersteuert werden kann, was vielen als Vorteil erscheinen mag.

Was kann man also gegen Matsch und für Transparenz machen? Hier eine kurze Liste:

  1. Anhebung der Höhen (Treble-Booster, Equalizer)
     
  2. Absenkung der Bässe (Equalizer, Basskondensator in der Gitarre, Abstand vom Pickup zu den Saiten vergrößern, dünnere Saiten verwenden)
     
  3. Resonanzspitze erhöhen (Tonabnehmer mit geringerer Induktivität, Impedanzumschaltung von Seriell- auf Parallelschaltung bei Humbuckern, Impedanzumschaltung durch Anzapfen (Tap) bei Single-Coils, Einsatz eines Impedanzwandlers)

Ob es "matscht" oder nicht, ist also ganz einfach eine Frage, wie man vor dem Verzerrer mit der Klangeinstellung umgeht! Wer hier Mist macht, darf sich über einen "mistigen" Klang dann auch nicht wundern!

Natürlich können sich auch die Summenfrequenz im Treble-Bereich störend bemerkbar machen, was aber durch eine Absenkung der Höhen nach dem Verzerrer ein wenig abgemildert werden kann.

Fazit 1

Die Frage, ob es matscht oder nicht, ist einfach eine Frage der Klangeinstellung. Wenn es mit den Bordmitteln der Gitarre (Tonabnehmer, Tonblende und Kabel) nicht geht, ist ein Equalizer eine gute Möglichkeit.

5. Was matscht denn noch?

Eigentlich sollte jetzt alles klar sein und wir wissen nun, daß der Tonabnehmer unschuldig ist! Der Begriff "Eigentlich" impliziert jedoch, daß da noch was ist und in der Tat gibt es noch weitere nichtlineare Quellen, die deutlich vor der Elektronik angesiedelt sind.

5.1 Das Magnetfeld...

... hat leider im Schwingungsbereich der Saite keinen konstanten Wert, sondern sein Betrag nimmt mit der Entfernung ab. Es liegt in gewisser Weise ein reziprokes Verhalten vor, was zu einer nichtlinearen Umsetzung von Flußdichteänderung nach Induktionsspannung führt. Hier liegt im Grunde genommen wieder die Aussteuerung einer nichtlinearen Kennlinie vor. Dieser Effekt ist um so stärker, je dichter sich der Tonabnehmer unter den Saiten befindet. Auch hier entstehen wieder... na? Richtig! Summen und Differenzen, was dazu führen kann, daß der Klang auch ohne Verzerrer schon unrein ist (Stichwort: Stratitis).

Dieses Verhalten ist allerdings keine Folge der Spuleneigenschaften! Also: Der Tonabnehmer ist unschuldig!

5.2 Die gebogene Saite

Schlägt man eine Saite an, so bilden sich auf ihr auch die Oberschwingungen aus. Da die Saite jedoch eine gewisse Biegesteifigkeit aufweist, sind die Perioden der Harmonischen meistens ein wenig kleiner als sie in der Theorie sein sollten. Die Folge ist ein unreiner Klang, der umso stärker wahrgenommen wird, je dicker und je kürzer die Saite ist. Man höre sich dazu mal den Klang der 6. Saite am 15. Bund an. Ist das noch ganz sauber?

Glücklicherweise ist an diesem Verhalten die Saite schuld! Also: Der Tonabnehmer ist unschuldig!

Fazit 2

Das Auftreten nichtlinearer Verzerrungen durch die Biegesteifigkeit und den Abstand des Tonabnehmers von den Saiten sollte man nach Möglichkeit durch geeignete Maßnahmen verhindern, da sonst generell kein "sauberer" Klang entstehen kann.

Geht man mit einem solcherart verschmutzten Signal auf einen Verzerrer, ist der Brei, Mulm, Matsch,... komplett! Wer's mag...

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Leserkommentare zu diesem Artikel

Datum Quelle Kritiker

21.05.2010

Musiker-Board

AlexiDime

Ausgezeichneter Beitrag! Konnte doch noch ein paar sachen dazulernen

22.06.2010

Musiker-Board

derfotograf

Eine wunderbare Erläuterung, deine Physik-Postings finde ich immer sehr ansprechend und trotzdem informativ/fachlich!



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